Von Zeit zu Zeit lassen wir in unserem Blog Fachkräfte aus dem Gesundheitssektor zu Wort kommen – wir nennen das „Blogvisite“. Doktor Johannes Wunderlich, Chefarzt und Ärztlicher Direktor der Klinik für Akutgeriatrie und Frührehabilitation des St.-Elisabeth-Krankenhauses in Dortmund-Kurl, informiert uns heute rund ums Thema Depression im Alter – ein oftmals nicht erkanntes Problem, das vielfältige Gründe hat und für das es verschiedene Therapieansätze gibt.
Selten diagnostiziert, oft unterschätzt
Die Depression im Alter ist eine vielfach nicht erkannte oder fehlgedeutete Diagnose. Denn die Präsentation der Symptome sind häufig nicht in typischer Weise wie beim jüngeren Menschen erfolgt. So zeigen sich oft nur klagsame und gereizte Züge mit Verbitterung und Rigidität. Dies sind also Wesenszüge, die in der Bevölkerung fälschlicherweise oft mit dem Älterwerden in Einklang gebracht werden.
Bei der Depression im Alter liegt in der Regel ein „Syndrom der Losigkeit“ vor. Also: kraftlos, gefühllos, lustlos, appetitlos, mutlos, wertlos oder schlaflos. Es besteht mitunter ein Bild der „gehemmten Depression“. Das bedeutet es kommen Symptome auf, wie Antriebsminderung, Kraftlosigkeit sowie Entschlussunfähigkeit. Häufig besteht auch eine sogenannte „agitierte Depression“ mit unproduktiver Unruhe sowie einer Angststörung.
Sehr viel häufiger als bei jüngeren Patienten besteht auch ein Missbrauch von Alkohol, Schmerzmitteln sowie freiverkäuflichen Beruhigungsmitteln und Schlafmitteln. Da diese Patientengruppe in der Regel nicht mehr berufstätig und häufig auch alleinstehend ist, fehlt die soziale Kontrolle durch Arbeitgeber, Mitarbeitende oder Familienangehörige.
Zwei Drittel der Patienten mit Depression im Alter suchen ihren Hausarzt ausschließlich aufgrund von körperlichen Beschwerden im Rahmen der Depression auf, die dann auch seitens der Hausärzte in der Regel rein organisch abgeklärt werden.
Vielfältige Ursachen und eine unheilige Allianz
Welche Gründe gibt es nun im Alter, an einer Depression zu erkranken? Das sind zunächst chronische körperliche Gebrechen, langwierige Operationen mit Bettlägerigkeit, allen voran jedoch der Verlust von Partner, Beruf und sozialen Aufgaben. Bei Patienten mit vorange-gangenen Depressionen im Jugend- oder Erwachsenenalter kommt es nicht selten zu einem Aufflackern der depressiven Symptomatik im Alter.
Weitere Risikofaktoren sind fehlende Zielsetzungen, Interessen und Beschäftigungen, überhöhte Ansprüche und Überforderung mit dem Alltag. Aber auch vorbestehende Wesenszüge wie Rigidität, Inflexibilität, Perfektionismus sowie Misserfolgsorientierung.
Die Krankheitsbilder Demenz und Depressionen bilden manchmal eine unheilvolle Allianz; ca. 50 % der Demenzpatienten leiden gleichzeitig an depressiven Symptomen, bei ca. 20 % zunächst als Demenzen klassifizierten Patienten wird im Verlauf der Erkrankung eine depressive Störung diagnostiziert. Im Gegensatz zur Demenz betonen jedoch depressive Patienten ihre Defizite. Sie klagen detailliert über ihre Beschwerden, zeigen einen untypischen klinischen Verlauf und geben häufig „Ich weiß nicht“-Antworten.
Depression im Alter – was tun?
Auch die Therapie depressiver Störungen im Alter gestaltet sich, abgesehen von der medikamentösen Therapie, als schwierig. Meist bestehen bei diesen hochaltrigen und gebrechlichen Patienten noch begleitende kognitive Störungen. Stattgehabte Schlaganfälle, eine verminderte Auffassungsgabe, Hör- und Sehschwierigkeiten, die eine ambulante Psychotherapie oft unmöglich machen.
Bei nächtlichen Schlafstörungen kann ein erzwungenes frühmorgendliches Aufstehen helfen, hier sollte auch auf einen Mittagsschlag unbedingt verzichtet werden, um die Schlafbereitschaft zur Nacht zu erhöhen.
Als begleitende Maßnahmen sollte eine Tagesstrukturierung erfolgen, soziale Kontakte gepflegt werden und eine körperliche Bewegung an der frischen Luft erfolgen.
Die medikamentöse Therapie im Alter erfordert eine besondere Geduld, da ein Wirkeintritt frühestens nach 2 – 4 Wochen zu erwarten ist. Antidepressiva haben jedenfalls eine suizidpräventive Wirkung und sollten eventuell am Anfang mit angstlösenden Medikamenten kombiniert werden, da eine erhöhte Suizidalität in den ersten Wochen der antidepressiven Behandlung besteht.
Das „ideale“ Medikament für den älteren Patienten sollte minimale Nebenwirkungen haben, sicher bei Überdosierung sein, geringe Wechselwirkungen mit der begleitenden Medikation haben und möglichst keine ruhigstellenden Eigenschaften aufweisen, um Stürze zu vermeiden.